Page 23 - Freizeitarena Heft 57
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  Dass nicht viel los ist im Göttinger Jahn- stadion, ist an einem regnerischen Donners- tagvormittag normal. Ganz und gar nicht normal war die Leere und Stille, die Neele Eckhardt vor nicht langer Zeit erlebte, als sie das Stadion für sich allein hatte. Mit einer Sondergenehmigung der GoeSF durfte die Dreispringerin mit ihrem Trainer Frank Reinhardt die Anlage nutzen – zum Training in Zeiten des Corona-Lockdowns.
18 Wochenstunden, neben einem Jura-Vollstu- dium) macht die immer noch Spaß. Vor allem Koordinationsübungen, denn Dreisprung, diese Orchideendisziplin, ist ausgesprochen komplex.
Diese Gelassenheit habe sie nicht immer gehabt, sagt Eckhardt. Sie ist auch eine Folge der bitteren Verletzungs- und Krankheitsgeschichte. Eckhardt hat Asthma, vielleicht lag es an den Medikamen- ten, dass sie 2019 innerhalb eines Jahres gleich zwei Lungenentzündungen bekam, mit Kranken-
Ein anfangs verstörend zielloses
Training war das, in Zeiten, die auch für Leistungssportler von völliger Ungewissheit geprägt waren. Das war im Vergleich zu anderen Lebensbereichen ein Luxusproblem, sagt Eckhardt. Aber trotzdem war es bitter und gewöhnungsbedürftig. Denn für dieses Jahr 2020 gab es ein einziges großes Ziel: endlich an Olympischen Spielen teilzunehmen. Nachdem sie 2016 in Rio nicht dabei war, weil sie die Norm verpasst hatte, waren die Voraussetzungen dieses Mal deutlich besser. Im Februar hatte sie in Leipzig mit 14,09 Metern ihre zweite Deutsche Hal- lenmeisterschaft nach 2018 gewonnen. Die Leistungsentwick- lung war vielversprechend und die Olympianorm von 14,32 absolut realistisch. Doch dann kam Corona, und der große Traum war geplatzt. Zwar sei, trotz der langen Hängepartie, der die Athleten durch das Zögern des IOC ausgesetzt waren, abzusehen gewesen, dass es mit Tokio pandemiebedingt nichts werden würde. Als dann aber feststand, dass die Spiele auf 2021 verschoben wurden, war das doch ein Schock. Zwei Wochen habe sie gebraucht, um sich mit der neuen Lage zu arrangieren, sagt Eckhardt. Das ist verständlich, denn Olympi- sche Spiele sind nichts, was man mal so nebenbei angeht. Seit September 2019 war alles im Leben der 27-Jährigen auf diesen einen Termin ausgerichtet. Der ganze Trainingsplan mit seiner Dramaturgie ist darauf angelegt, im entscheidenden Moment die beste Leistung bringen zu können. Dem war alles unterge- ordnet, auch ihr Jurastudium hat Eckhardt durch ein Freise- mester unterbrochen, um sich ganz auf den Sport konzentrie- ren zu können. Und dann war alles für die Katz.
Doch wie so viele andere auch hat Neele Eckhardt das Beste aus der ungewohnten Situation gemacht und – nachdem der erste Frust verarbeitet war – sogar gelernt, die Umstände zu genießen. Sie war ja nicht gescheitert, sondern der Olym- pia-Traum ist nur vertagt. Außerdem hat es ihr die Uni ermög- licht, kurzfristig wieder ins Studium einzusteigen und ihre erste Examenshausarbeit zu schreiben. Die Gefahr, dass einer ihrer Sponsoren – neben der Bundeswehr vor allem die Spar- kasse Göttingen – abspringen würde, ist eher gering. Also hat Neele Eckhardt das Training einfach genossen, ohne Termin- druck oder große Ziele, hat sich auf das konzentriert, was ihr Spaß macht: Dreisprung um des Dreisprungs willen. Denn so scheint es tatsächlich zu sein: nach all den Jahren fast tägli- cher Trainingsarbeit (eine Sechs-Tage-Woche mit insgesamt
hausaufenthalten und logischerweise einem kompletten Stopp für alle ansatzweise sportlichen Aktivitäten. Danach musste sie quasi wieder bei null anfangen. Der Gedanke, die Quälerei sein zu lassen, sei ihr aber nie gekommen. Im Gegen- teil: viel zu groß war die Freude, wieder trainieren und sprin- gen zu können. Das ist immer mehr zum Selbstzweck gewor- den: wenn auch nicht zur Sucht, dann aber doch zu einem ele- mentaren, strukturierenden Bestandteil des Lebens. Gleich mehrfach betont Neele Eckhardt, was für ein Privileg es ist, das Hobby zum Beruf zu machen. Offensichtlich stimmt in ihrem Athletinnen-Leben alles: Zufrieden ist sie mit den Trai- ningsbedingungen in Göttingen – auch wenn die dreiköpfige Springerinnen-Gruppe der LG sich derzeit in Auflösung befin- det und sie im Training auf sich allein gestellt ist. Zufrieden ist sie mit der Zusammenarbeit mit Frank Reinhardt, der seit 2008 ihr Trainer ist. Sie schätzt das Vertraute, wie motiviert oder fit sie sei, sehe der Trainer ihr schon an, wenn sie beim Training auftaucht. Zufrieden ist sie mit Göttingen, zu keiner Zeit habe es Überlegungen gegeben, an einen anderen Ort zu gehen, selbst wenn dort Trainingsgruppen existieren sollten.
Mit 16 ist Neele Eckhardt auf ein Sport- internat gegangen, 2009 hat sie mit dem Dreisprung angefan-
gen, seit 2013 macht sie das im Trikot der LG Göttingen, mit einigem Erfolg: drei nationale Meisterschaften (zwei in der
Halle, eine im Freien), 2017 Gold bei der Universiade in Taipeh
und Platz 12 bei der WM in London. All das habe sie selbstbe- wusster gemacht und gelassener. Mit dieser Haltung geht sie
den neuen Anlauf Richtung Olympia an. Ab September beginnt
die Vorbereitung, in der Hoffnung,
dass dieses Mal nichts dazwischen- »Ich mag meinen kommt, keine Verletzungen, Viren
oder andere Unbill. Ein bisschen Nor-
malität gibt es jetzt schon: die Deutschen Meisterschaften
vom 8./9. August in Braunschweig. Seit dieser Termin fest-
stand, hatte das Training wieder eine fest definierte Perspek-
tive. Aber heute, an diesem nieseligen Donnerstag, ist trai- ningsfrei und das schöne Göttinger Stadion ganz leer. Im Weg- gehen sagt Neele Eckhardt wie beiläufig: »Ich mag meinen Alltag.« Wer das von sich sagen kann – allzu viele werden es
nicht sein –, hat eigentlich alles erreicht, was möglich ist. Trotzdem wäre Olympia natürlich eine feine Sache. t.s.
Alltag.«
portrait 23













































































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